
"Auf dem Boden liegen und in den Himmel schauen"
" Nach drei Jahren Corona fühlen sich viele ganz unten angekommen. Doch mit dem Blick des Kindes von Bethlehem können wir etwas wiederfinden, über das wir als Kirche kaum noch reden: den Himmel".
"Ehre sei Gott in der Höhe", so intonieren die Engel die Botschaft von der Geburt Jesu. Nach dem Bericht des Lukasevangeliums schweben sie oben am Himmel (vgl. Lk 2,14). Aber auch das Weihnachten in diesem Jahr zeichnet ein völlig anderes Bild. Mit dem Steigen der Inzidenz sind auch die Einschränkungen wieder da, fühlen wir uns auch an diesem Fest gefesselt, ist ", ... die Welt und Kirche " dem Virus ausgeliefert. Die Gefährdung unserer Gesundheit, die neuen Sorgen um finanzielle und existentielle Sicherheiten, die Katastrophe um das Klima und der Verlust von Aufrichtigkeit - all das macht uns hilflos und ohnmächtig, viele auch frustriert und wütend.
Was sonst unverzichtbar zu Weihnachten gehörte - gefüllte Gottesdienste, bewegende Lieder und berührende Musik, Gemeinschaft in der Familie und mit Freunden -, all das scheint uns plötzlich genommen. Man möchte fragen: Findet das Fest auch in diesem Jahr wieder nicht statt? Ganz unten ist es so nüchtern und kalt, so einsam und verloren. Hat sich die Botschaft von Weihnachten angesichts der Wirklichkeit, die uns umgibt, überholt ?
Betrachtet man Bilder vom Geschehen der Heiligen Nacht, kann man oft beobachten, dass das neugeborene Christkind auf dem Boden liegt, von Maria und Josef kniend umgeben. Ganz unten empfangen sie den, der aus der Höhe kommt.
Häufig ist in diesen kritischen Zeiten zu hören, dass Kirche und Welt einen Perspektivenwechsel brauchen. Nicht nur die Missbrauchsfälle und die Corona-Pandemie fordern dazu heraus, von unten her sehen zu lernen und die Sichtweise der Opfer einzunehmen. Umkehr im Glauben und Veränderungen im Leben beginnen damit, neu hinzuschauen und einen anderen, bisher vielleicht ausgeblendeten Gesichtspunkt einzunehmen. Der "point of view" von Weihnachten ist etwas anderes als der Blick von oben herab. Er ist Begegnung auf Augenhöhe ganz unten, und dann in dieser Solidarität der gemeinsame Blick nach oben.
"Ein Fest, um sich finden zu lassen"
"Das Fest ist in diesem Jahr wieder fast normal. Gewohntes ist uns nun wieder ermöglicht. Dass wir uns ganz unten von der Botschaft der Geburt Christi erreichen lassen, dass wir von Gott gefunden werden, der unseren Blick gemeinsam aufrichten will, ist aber auch hier das wichtigste von Weihnachten, das mancher bisher vielleicht für altbacken hielt.
"Weihnachten ganz unten ist ein Fest, um sich finden zu lassen. Gott, der in Jesus Christus Mensch geworden ist, zeigt uns, wie das geht: "sich im Ungeborgenen geborgen wissen, sich vom Ziel ziehen lassen und nicht das Ziel selbst bestimmen" zu wollen. Dieser Glaube braucht Gottesdienste - gerade an Weihnachten -, weil die Gemeinschaft ganz unten sich nicht darin erschöpfen darf, dass Menschen unter sich bleiben. Sich vom Ziel ziehen zu lassen, beginnt damit, wie das Kind von Bethlehem auf dem Boden zu liegen und in den Himmel zu schauen.
Ganz unten wieder neu zu lernen, nach oben zu schauen, kann Weihnachten in der Krise zum Wagnis eines neuen Aufbruchs machen. Weiter zu sehen, als der Horizont des Alltags es freigibt, spannt das Abenteuer des Lebens über den Tod hinaus. "Himmel" nennen Christen diese Perspektive, und wir müssen selbstkritisch bekennen, dass uns in der Corona-Krise nicht selten der Mut fehlte, dieses Wort wieder in den Mund zu nehmen und davon zu sprechen, dass es mehr gibt, als man sieht.

"Wo wir im Glauben nach oben schauen, ist das keine Jenseitsvertröstung; wohl aber im Diesseits die Erinnerung, dass wir unser Leben immer vor den Spiegel der Ewigkeit zu stellen haben. Wer diese Sichtweise ausblendet, verkürzt den Horizont der Hoffnung. Der Himmel wird trübe, wenn das Licht aus der Höhe nicht mehr durchdringen darf.
Wer ganz unten darum weiß, dass der gemeinsame Blick nach oben erhebt, wird dem Leben auf Erden keine frei gewählte Grenze setzen. Für Christen ist ganz unten nicht der Exitus, sondern der Scheitelpunkt. Weihnachten hat Ostern im Blick.
Jenes Fest hat uns in diesem Jahr zuerst mit Corona konfrontiert, damit dieses uns jetzt nicht kapitulieren lässt. Denn die Stille der Heiligen Nacht bringt an den Tag, was noch aussteht: alles! In diesem Sinn geht der Gesang der Engel weiter und über Weihnachten hinaus: "Verherrlicht ist Gott in der Höhe und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade!" (Lk 2,14)
Christen leben auf ein Ziel hin und sie glauben dem Anfang, den die Geburt Christi im Stall von Bethlehem schenkt. Sich vom Ziel ziehen zu lassen, bleibt das Abenteuer eines Aufbruchs, der Menschen im Lauf ihres Lebens immer wieder neu über sie hinausführen will. Nicht das Eigene zuerst zu suchen, sondern zuvor den ganz Anderen, Gott, zu finden, der in Jesus Christus ein menschliches Angesicht angenommen hat, führt in den Frieden der Weihnacht.
Diese Geborgenheit des Glaubens im Ungeborgenen der Welt gibt der Botschaft dieses Festes in den gegenwärtigen Krisen eine neue Bedeutung. Der in diesen Tagen so oft verlangte Perspektivenwechsel bleibt ein Wagnis, ein heiliges Abenteuer in der gereiften Einsicht, das Ziel nicht selbst bestimmen zu können und zu wollen. Wo aber die Versuchung dazu besteht, wird der Himmel zur Projektion; wo Weihnachten wieder sprechen darf, wird er zur wahren Perspektive.
Christen und ihre Kirche sind nicht "systemrelevant" in dem Sinn, dass der Betrieb laufen muss. Sie sind vielmehr "existenzrelevant", weil Weihnachten auf Ostern verweist und über uns ein Himmel ausgespannt ist, den die Wolken des Alltäglichen allzu oft trüben.
Das Weichnachtsfest 2023 kann so "zu jenem Sonnenstrahl werden, der diese Decke durchbricht. Diesen Ausblick gilt es zu gewinnen. Ihn wieder im Herzen zu ahnen und vor den Augen unseres Geistes zu vergegenwärtigen, indem wir von unten neu nach oben schauen, die Engel sehen und sie das Lob Gottes singen hören, schafft einen weiten Horizont der Hoffnung und tönt ihre Botschaft damit noch dringlicher und zugleich befreiender:
"Verherrlicht ist Gott in der Höhe und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade!" (Lk 2,14). "
Franz-Peter Tebartz-van Elst: "Auf dem Boden liegen und in den Himmel schauen"
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